Blues ist eine so
erdige und unmittelbare Ausdrucksform, dass sich seit (in heutigen musikalischen
Halbwertszeiten gemessen) Urzeiten dafür empfängliche Musiker und ihr
Publikum ihrer Faszination nicht entziehen können. Wen der Blues in Besitz
genommen hat, den lässt er ein Leben lang nicht mehr los.
Henning Pertiet ist einer dieser vom Blues Besessenen. Dessen Tiefe zu
erfassen, braucht es Talent – und das hatte Henning schon am ersten Tag,
als ich ihn kennen lernte. Man braucht Talent – und dann eine enorme Disziplin,
um aus diesen ersten, rudimentären Ansätzen, die man in sich verspürt,
wirklich anhörbare Musik zu erarbeiten.
Diese Disziplin hat Henning Pertiet ohne Zweifel aufgebracht, und geholfen
haben ihm die Solobühnen, seine Lehrzeit als Mitglied der großartigen
Mojo Blues Band, seine Partnerschaft mit Blues-Schlagzeuger Micha Maass
und viele Begegnungen mit so mancher noch aktiven Blueslegende, auch aus
den USA.
Auf dieser CD hören wir Henning Pertiet gemeinsam mit Ralf Jackowski
am Schlagzeug und Moritz Zopf am Bass swingen.
Swingen und Blues gehören zusammen, auch wenn dieses Gefühl heute manchmal
unter stampfendem Elektroschrott zu verschwinden droht.
Zu Zeiten, als der Swing den Takt des Tages angab, in den dreißiger und
vierziger Jahren in den USA (und hierzulande dank nazistischer Kulturbarbarei
erst nach 1945), gelangte die swingendste Bluesform zur Hochblüte: der
Boogie Woogie, mit dem auch das Piano in den Mittelpunkt des Bluesgeschehens
rückte.
Denn neben erdiger Gefühlstiefe gibt es noch ein anderes Suchtpotential
im Boogie Woogie: den unbändigen Drive, geboren aus rollenden Rhythmen,
die wiederum einen besonders intensiven Swing erzeugen.
Waren Klaviergiganten wie Meade Lux Lewis, Albert Ammons oder Pete Johnson
die Protagonisten der kraftvollsten Boogie Woogie-Spielart, so entwickelten
Virtuosen wie Jay McShann, Lloyd Glenn und andere einen Groove von swingender
Eleganz, ohne das Feld authentischen Blues-Spiels zu verlassen.
In diesen musikalischen Gefilden bewegt sich Henning Pertiet in vielen
der hier zu hörenden Stücke. Der Honky Tonk Train Blues, das wuchtige
Paradestück von Meade Lux Lewis, wird von Henning im leicht flüssigen
Stil von Lloyd Glenn interpretiert, dafür kommt im Gegenzug der von seinem
Komponisten, dem Boogie-Pionier Clarence Pine Top Smith, mit leichterem
Touch gespielte Pinetop´s Boogie Woogie in heftiger Attacke á la Lewis
daher. So etwas verrät den Spezialisten am Boogie-Klavier.
Überhaupt habe ich naturgemäß besonders große Freude an den Stücken, die
im Blues- und Boogie-Gedanken fest verwurzelt sind. Der große Jay McShann,
Anno 2005 als einer der allerletzten Großmeister aus den wilden Kansas
City-Tagen der dreißiger Jahre noch aktiv, stand hörbar Pate bei Hennings
Opening Boogie und Boogie For You – keine ganz alltägliche Wahl für
einen heutigen Boogie Woogie-Interpreten.
Jay McShann und seine Musik standen übrigens mit am Beginn der Jazzrevolution
der vierziger Jahre, von der Swing-Ära hin zum Be-Bop und damit zum modernen
Jazz. Einer der größten Revolutionäre der Jazzgeschichte, Charlie Parker,
machte seine ersten Schallplattenaufnahmen als Mitglied des Orchesters
von Jay McShann – und es waren Blues- und Boogie-Stücke.
Blues und Boogie Woogie boten damals mit ihrer abstrakten Struktur, abseits
vom festgelegten Jazz-Standardmaterial, den ersten Be-Boppern ein reiches
Experimentierfeld. Eine der berühmtesten Kompositionen von Thelonius Monk,
Blue Monk, basiert auf einem der ältesten Piano-Bluesthemen.
Die Klangwelt von Be-Bop und späteren Stilen fasziniert auch Henning Pertiet,
wie man unter anderem in Boogie De Funk oder Abdullahs Blues hören
kann. Wie man sieht, keine unlogische Entwicklung. Bass und Schlagzeug
ebnen die Wege zu Perdido, und ausgehend von sensibel gespielten Bluesklängen
wie in Blues Flakes wagt sich Henning bis auf´s Feld der Ballade.
Henning Pertiet gehört heute zu den gestandenen Klavier-Blueskünstlern,
die die europäische Musikszene so bereichern. Mit Vince Blues, gewidmet
unserem Freund und (in Deutschland) Blues-Pionier Vince Weber, bekennt
er sich zu dieser Tradition – eine Tradition, die hoffentlich noch viele
weitere Musiker hervorbringen wird, für die Blues nicht einfach nur ein
Harmonieschema und eine schräge Tonskala bedeutet, sondern die für sie
intensivste musikalische Ausdruckswelt.
Axel Zwingenberger
CD-Kritiken
1. Concerto-Magazin (Österreich)
Eine ausgezeichnete
Blues- und Boogie-Formation aus Deutschland mit Moritz Zopf, Bass, Ralf
Jackowski, Schlagzeug und Henning Pertiet am Piano.
Es ist verblüffend, dass es Deutschland immer wieder gelingt, derart hervorragende
Pianisten hervorzubringen.
Auch Henning Pertiet hat den Blues im Blut, kann aber auch gleichzeitig
richtig gut swingen.
Seine Zusammenarbeit mit Micha Maass am Schlagzeug, oder aber mit der
Mojo Blues Band, haben ihn geprägt, seinem Vorbild Vince Weber widmete
er den Vince Blues.
Egal ob Blues ins balladenhafte abgleitend, wie auf Blues Flakes oder
Boogie, wie Boogie For You, Pertiet überzeugt und es fällt gar nicht
groß ins Gewicht, dass es eine ausschließliche Instrumental-CD ist.
2. BluesNews-Magazin
Über Henning Pertiets
Schaffen wurde an dieser Stelle schon öfters berichtet. Mit Superlativen
wurde nicht gegeizt, denn der Pianist aus dem Niedersächsischen Verden
hat wie kaum ein anderer in Deutschland eine eigene Art des Spiels entwickelt.
Das führte bisher leider nicht dazu, dass Pertiet den ihm gebührenden
Platz in der Europäischen Musikszene bekam. Der Gründe sind sicherlich
viele, aber wenn es einen weiteren Anschub braucht, dann liefert Pertiet
ihn hier mit seinen Kollegen Moritz Zopf (Bass) und Ralf Jackowski (Schlagzeug)
einfach selber. Auf fünfzehn großartigen Nummern bewegen die drei Herren
sich mal leicht-beschwingt, mal kraftvoll-schwer auf dem weiten Feld des
Blues, Boogie-Woogie und Artverwandentem. Pertiet spielt dabei immer mit
einer technischen Selbstverständlichkeit, die es ihm erlaubt, interpretatorisch
große Kunst entstehen zu lassen. Bei Duke Ellingtons “Perdido” scheint
die linke Hand mit einer Leichtigkeit über die Tasten zu hüpfen, die an
die großen Momente der Stummfilmmusik erinnert. Überhaupt der Film: Pertiet
und seine Leute verstehen es, auch abseits ausgetretener Bluespfade Musik
zu machen, die ganze Bilderwelten entstehen läßt. Das hat durchaus was
von Filmscores. Die zehn Eigenkompositionen sind allesamt besonders und
wundervoll. Und weil Henning Pertiet glaubt, nicht singen zu können, läßt
er weise den Gesang weg und die Musik sprechen. Hören wir ihr einfach
zu, denn es ist bereichernd. (ThR)
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